„depublizieren“ – Nur löschen ist schöner

Depublizieren, das ist das Juristendeutsch, welches „Bereits veröffentlichte Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender wieder aus dem Netz entfernen“ beschreibt. Festgehalten ist das im neuen Rundfunkmedien-Staatsvertrag.

Wem nützt das depublizieren?

Das Depublizieren nützt vor allem Verlagen, die eigene Internetangebote betreiben und den „Long Tail„-Content, sprich alte Themen und ähnliches gerne kostenpflichtig machen wollen. Die „News“ sind umsonst, ältere Artikel zu dem Thema kosten. Oder aufwändigere Hintergrundrecherchen, Artikel etc.

Der zweite Nutznießer sind Politiker, Regierungen und andere, die so meist auch mißliebige Berichte aus der Vergangenheit bei den öffentlich-rechtlichen aus dem Kreuz haben. Fälle könnten dabei z.B. die Steueraffäre der CDU sein, oder auch das aktuelle Lieblingsprojekt von Mappus, Stuttgart 21.

Wenn Mappus in 3 Jahren Wahlkampf betreibt, dürfte ihm das ganz recht kommen, dass Berichte über sein rabiates Vorgehen vom öffentlich-rechtlichen nicht mehr verbreitet wird und bei den privaten Verlagen nur eine Minderheit, die auch für die Inhalte zahlt. Aber das sind meist die, die sich so Geschichten wie sie aktuell in Stuttgart begeben auch so merken würden.

Aber auch auf Bundesebene bringt die Depublikation Vorteile. So kann man in ein paar Jahren die Geschichten um Angela, Guido und Philipp, die Atom- und Pharmalobby einfach ignorieren. Steht ja nirgends.

Wer verdient daran?

Nun, wer daran verdient dürfte klar sein: Verlage. Die haben die Änderung im Rundfunkmedienstaatsvertrag schließlich initiiert. Weil der Long Tail der Inhalte, der durch die Depublikation entsteht, natürlich an Wert gewinnt. Wo sonst sollen sich die Menschen die Information holen? ÖR bieten ja keine Alt-Inhalte an.

Auf lange Sicht verdienen daran natürlich auch jene, die durch „weggesperrte“ Informationen einen direkten oder indirekten Gewinn erziehlen. Und sei es nur, dass einem unangenehme Themen aus dem Weg geräumt werden.

Wer hat die Inhalte produziert / finanziert / wem gehören die Inhalte?

Das ist die spannende, wenn nicht gar die spannendste Frage an der gesamten Geschichte. Die Finanzierung der ÖR basiert im wesentlichen auf 2 Faktoren: Die staatliche Rundfunkgebühr, die von der GEZ erhoben wird und: Werbung.

Rundfunk-Gebühren 2008Quelle für die Verteilung der Einnahmen

Das Gesamtbudget der ARD beträgt dabei pro Jahr über 6,3 Milliarden Euro (Quelle: DW).

Damit steht wohl ziemlich klar fest, dass Steuer- und GEZ-Zahler 85% des Budgets der öffentlich-rechtlichen zahlen. Lindenstraße eingeschlossen. Damit sollte es ja nicht zuviel verlangt sein, wenigstens die Inhalte der Tagesschau als „frei“ zu kennzeichen und nicht zu depublizieren.

Noch weiter gesponnen: Die Lobbyfreundlichkeit der Bundesregierung, Musikfirmen, die das Geld einer Produktion stellen, werden mit Urheber- bzw. Verwertungsrechten belohnt, aber den Finanzierern der Inhalte der ARD/ZDF wird es abgesprochen.

Warum gibt es keinen Aufschrei?

Genau das frage ich mich. Die Geschichte der Depublikation ist in meinen Augen eine Zensurmaßnahme. Und solange ein Thema wie z.B. Stuttgart 21 sich nicht lange genug in den Medien hält, wird sowas im Zweifel bis zur nächsten Wahl vergessen und mit den brereits beschriebenen Mechanismen verdrängt. Ein Segen, oder?

Und solange den ÖR keine aktuelle Berichterstattung untersagt wird, braucht sich ja auch keiner ärgern und beschweren. Informationen gibt’s schließlich kostenlos im Netz.

Den Long Tail nur gegen Geld privat zu bekommen, das ist das gleiche, was aktuell unserem Bildungssystem wiederfährt: Informationen und Bildung bleibt immer mehr einer so genannten Elite vorbehalten, die es sich leisten kann. Das muss es gewesen sein, was die Regierung unter „Elitenförderung“ versteht: Breitbandige Volksverdummung und -verarschung.

Wie seht ihr das?


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3 Antworten auf „„depublizieren“ – Nur löschen ist schöner“

  1. Wir finanzieren auch die Inhalte der Privaten (auf die ich übrigesn *sehr* gut verzichten könnte – siehe „Tatort: Internet“), indem wir Konsumenten die zusätzlichen Ausgaben tragen, die die Unternehmen durch die Werbekosten auf RTL2 und Co. haben. Übrigens nehmen die Sendergruppen um RTL2 und 9live gemeinsam mehr durch Werbung als die öffentlich-rechtlichen Sender über die GEZ ein.

    Hier merkt man deutlich die mangelnde Aufrichtigkeit der Politiker. Diejenigen, die ein unglaubliches Vertrauen in die Intelligenz des freien Marktes halten, sind diejenigen, die dem freien Markt hier misstrauen. Im freien Markt würde man erwarten, dass hochwertige Produkte genügend Absatz finden, um ihre Güteklasse zu wahren. Indem man diktiert, die Öffentlich-Rechtlichen müssen im Internet Sendepause einlegen, um den Wettbewerb nicht zu gefährden, stellt man dem freien Markt ein Armutszeugnis aus: Er – bzw. seine Teilnehmer, die Medienkosumenten – ist nicht in der Lage hochwertige Produkte derart zu erkennen und durch Konsum zu fördern, dass sie bestehen bleiben können. Nur aus diesem Grund dürfen die kommerziellen Angebote keine öffentlich-rechtliche Konkurrenz haben.

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