Das andere Land

Ein bisschen fühle ich mich ja an Otherland erinnert, wenn ich mich in Second Life einlogge. Menschen, Tiere, die Fähigkeit, Gegenstände zu erschaffen und zerstören, wann immer ich es brauche oder möchte. Eine Verbindung zum realen Leben existiert, die „Reichen“ sind es, die ihre Welten dort erschaffen, die reichsten sind die Besitzer des Systems.

Ein ähnliches Szenario herrscht auch in Otherland, in dem eine Gruppe aus dem echten Leben „versinkt“, wie andere nach „SL“, wie „Second Life“ bei Insidern genannt wird, süchtig werden werden in Otherland diverse Figuren nach Otherland verschlagen, sie werden in das System gesaugt.

Das war bei Otherland ähnlich, sind doch kleine Kinder im Otherland im wahrsten Sinne eingesaugt worden, fielen im echten Leben ins Koma.

So ist es mittlerweile bei heutigen MMORPGs teilweise auch schon. Damals, als Ultima Online noch aktuell war, ging es schon los, erste Menschen wurden süchtig. Blizzards Battle.Net war besonders bei Diablo 2 der absolute Suchtfaktor, es begannen Menschen, ihre Charaktere und/oder Gegenstände aus Diablo bei ebay für echtes Geld zu veräußern.

Das war damals weder vorgesehen, noch von Blizzard in Erwägung gezogen worden. Aber das war der Anfang, eine Art Startschuss. Schließlich ließ sich daran erkennen, dass Menschen bereit waren, echtes Geld für virtuelle Waren (ich meine hiermit jetzt keine DRM-geschütze Musik oder Software, die nur per Download verfügbar ist, sondern „Waren“, die lediglich in einem Spiel verwendet werden können).

Eben das ist das neue Web2.0-Game- Geschäftsmodell. Second Life ist der Beweis, dass es funktioniert, sehr gut funktioniert sogar. Bigpoint, die nach eigenen Angaben größte und beste deutsche Anlaufstelle für Browsergames, hat das gleiche Geschäftsmodell wie alles im Web2.0, besonders aber die Spiele:

  • Der Einstieg (Basic-Accounts) ist kostenlos, Premium-Accounts haben mehr Funktionen (und bessere Chancen), bestimmte Gegenstände kann jeder für (echtes) Geld kaufen.

Im Gegensatz zu Plattformen wie Bigpoint, gibt es bei Second Life aber kein definiertes Ziel, keinen Endgegner, keine Belohnung, die am Ende steht, trotzdem ist die Plattform (ich nenne SL hier mit Absicht eine Plattform) extrem erfolgreich, auch kommerziell betrachtet.

Stellt sich die Frage, warum? Linden Labs hat mit Second Life eine Plattform geschaffen, die seit Bestehen des Internets nur auf ihre Realisation gewartet hat. Eine 3D-Welt, in der gechattet werden kann, in der sich der einzelne eine Identität zusammenschustern kann, die er sich in seinen tiefsten Träumen erdacht hat.

Die Rede ist vom Avatar. Das Sinnbild des anonymen Individuum. Die Personifizierund des Selbstbild. Wer dem nicht folgen kann, sollte sich unter http://de.wikipedia.org/wiki/Avatar informieren oder sich einmal Matrix ansehen.

Second Life ist eine Art Vorläufer der Matrix. Ich denke, das kann man so festhalten. Aber warum es Leute gibt, die für ein Spiel ihr echtes Leben teilweise völlig aufgeben, ein Vermögen für ihre virtuelle Präsenz ausgeben und im echten Leben kein anderes Gesprächsthema kennen, kann ich trotz allen tollen Möglichkeiten von WoW, SL und Co. nicht verstehen. Und leider kenne ich den einen oder andern Fall, bei dem es fast schon kein anderes Thema mehr gibt.

Gut, ich bin auch bei SL registriert, habe einen Free-Account und einen weiblichen Avatar namens Azrael, aber ich kenne die Grenze zwischen RL und SL. Mein SL beschränkt sich sowieso auf wenige Stunden nebenbei pro Woche, mehr Zeit habe ich dafür nicht, außerdem braucht das Teil mächtig Bandbreite. Zum Arbeiten online ist das nicht wirklich günstig.

Azrael mit Bike

Azrael fährt gerne eine rote BMW, trägt schwarze Plateau-­Springerstiefel, eine schwarze Federboa, einen Lederrock, ein hautenges Tiger-Oberteil und eine Sonnenbrille. So ne Art diabolische Lara Croft, könnte man sagen.

Wer jetzt behaupten möchte, ich sei eventuell Identitätsgestört, latent homosexuell oder einfach nur pervers, dem sei gesagt, dass dem nicht so ist. Eine Frau hat es in SL teilweise einfacher, teilweise schwerer, unter Leute zu kommen, das kommt dann wieder ganz auf die Klientel ein. Gut aussehende Frauen bekommen in materieller Hinsicht etwas mehr, leider ebenso viele Angebote für virtuellen Sex, die man charmant und diplomatisch ausschlagen sollte, denn man(n) möchte es sich ja trotzdem nicht verderben, oder?

Azrael im ClubÜbrigens ist der Typ Frau, den Azrael verkörpert auch nicht so wirklich mein Frauentyp, nur falls das jemand vermuten wollte. Ich denke, ich habe meine Gründe dafür deutlich genug dargestellt.

Im Grund ist das ganze SL-Prinzip (neben der bereits erwähnten Realisierung der alten Vorstellung des Cybercosmos) nebenbei bemerkt eine Art 356 Tage dauernder Online-Fasching. Aber lustig ist das ganze. Wirklich. Und wenn man es auch als solches ansieht, ist man mit den zur Verfügung gestellten Freebies (kostenlose Gegenstände, die man geschenkt bekommt) extrem gut bedient.